KaGe in der Narrenhochburg

ELLINGEN/VEITSHÖCHHEIM – Noch rund 20 Minuten bis zum Auftritt und die Betriebsamkeit in den Katakomben der Mainfrankensäle in Veitshöchheim nimmt zu. Selbst bei der gut 30-köpfigen Delegation der Karnevalsgesellschaft Ellingen ist die Anspannung nun zu spüren. Jetzt ist das Betreuerteam gefragt: Dort fehlt noch Schminke im Gesicht, da sitzt die Perücke schief, und im letzten Moment muss eine abgefallenen Kokosnuss an ein Kostüm geflickt werden.

Im Hintergrund beurteilen derweil zwei ältere Herren in Strumpfhosen, mit grell geschminkten Gesichtern und Glitter auf den Wangen, ihre Aufmachung: „Sieht gut aus“, brummt der eine zufrieden. Das Geschehen beim Veitshöchheimer Fasching nach normalen Maßstäben zu beurteilen, muss man sich – wie man sieht – abgewöhnen: Im Untergeschoss des Gebäudes begegnet man einer Menge schräger Gestalten: Auf der Treppe unterhalten sich wild geschminkte Piratinnen mit streng gescheitelten altertümlichen Feuerwehrlern. Vor der Tür rauchen Funkenmariechen und geben per Handy den Eltern und Freunden die Zeit ihres Auftritts bekannt. Für die Ellinger ist es die Premiere beim Veitshöchheimer Fasching. Und eine doppelte Ehre, denn nicht nur, dass sie zum ersten Mal beim fränkischen Faschingsmekka am Main mitwirken dürfen, sie sind auch noch die erste Männerschautanzgruppe in der 20-jährigen Geschichte der TV-Prunksitzung. Eine große Ehre, ist der Veitshöchheimer Fasching doch mittlerweile die quotenträchtigste Sendung des Bayerischen Rundfunks und deutschlandweit eine der meist beachteten Prunksitzungen. Trotz Zuschauerzahlen von um die drei Millionen sind die Ellinger keineswegs aufgeregt: „Wir sind schon in Sälen mit mehr Leuten aufgetreten. Und die Menschen am Fernseher sieht man ja nicht“, gibt sich Detlev Beckler gelassen. Etwas Besonderes sei der Auftritt in Veitshöchheim aber schon, räumt Klaus Wagner ein: „Wir sind schließlich nicht jeden Tag im Fernsehen.“ Die routinierte Gelassenheit der als Coladose, Krokodil, Karibik-Tourist oder Tänzerinnen verkleideten Männertanzgruppe bekommt erst kurz vor dem Auftritt erste Risse.

 

Lächeln an und auf die Bühne

18.45 Uhr: Die Tanzgruppe steht lang aufgereiht im Gang zur Bühne. Im Hintergrund ein Turm aus Monitoren, Lautsprechern und Mischpulten. „Noch 30 Sekunden“, ruft der Aufnahmeleiter. Witze reißt jetzt keiner mehr. Jeder denkt noch mal darüber nach, was er zu tun hat. Auf den grell geschminkten Gesichtern liegt ein Ausdruck von Ernst und Konzentration. Dann auf Kommando: Vorhang auf, Lächeln an und auf die Bühne. Nur wenige Sekunden sind später von diesem ersten Auftritt der Ellinger im Fernsehen zu sehen: „Dafür mussten wir gestern noch eineinhalb Stunden extra proben“, sagt Detlev Beckler, die Coladose, mit etwas schiefem Grinsen. Insgesamt aber ist die Erleichterung nach dem gelungenen Bühnendebüt groß: Stefan Rabus: „Der erste Schock ist weg.“ Jetzt heißt es warten. Denn bis zum nächsten Auftritt der Ellinger, der zugleich der letzte im Veitshöchheimer Faschingsprogramm sein wird, dauert es noch fast drei Stunden. Aber auch dem kann ein Mitglied der Ellinger Delegation etwas Positives abgewinnen: „Wir haben den ersten und den letzten Auftritt. Immerhin hat die Veranstaltung also einen professionellen Rahmen.“ Während im großen Saal die Prominenten und das gemeine Volk auf den hinteren Plätzen über die Witze von Klaus Karl-Kraus oder Waltraud und Mariechen lachen, stehen die Aktiven bis zu ihrem Auftritt draußen vor den Türen und schauen auf die zahlreichen Monitore. Die zeigen, was nur wenige Meter entfernt passiert. Wenn eine Bedienung mit vollem Tablett die Tür aufstößt, kann man einen kurzen Blick auf die Bühne erhaschen. In den Saal kommen die Aktiven abgesehen von ihren Auftritte nicht. Im Prinzip findet im Foyer und in den Umkleiden ein zweiter Faschingsball statt. An den Monitoren werden gelungene Witze oder Schautänze ausgiebig beklatscht und in kleinen Gruppen auch fachkundig diskutiert. Ist eine Gruppe auf der Bühne fertig und tanzt durch den Saal zum Ausgang, stehen die Karnevalsbegeisterten im Vorraum spontan Spalier und beklatschen die Gruppen. Im Untergrund bereiten sich derweil die Gruppen auf ihre Auftritte vor. Zu den Ellingern muss man sich einen Weg durch grätschende Funkenmariechen bahnen, eine Kegelbahn voller Pippi-Langstrümpfe durchqueren, und kommt dann durch eine unscheinbare Brandschutztür in die schmucklose Umkleide der KaGe. Dort sitzt der Großteil der Ellinger Schautänzer inklusive ihrem Betreuerteam. Strategisch geschickt haben sie sich mittlerweile mit den Kellnern angefreundet, die im Auftrag des ausrichtenden Veitshöchheimer Faschingsvereins für die kostenlose Bewirtung zuständig sind: Das zahlt sich bald in klirrenden Kartons voller Frankenwein aus, die in steter Folge in die Ellinger Umkleide gebracht werden. Als Dank für die treuen Dienste wird den beiden Obern kurzerhand der KaGe-Faschingsorden verliehen. In dem tristen Kellerraum bekommt man vom Faschingsgeschehen einen Stock höher praktisch nichts mit. Die Ellinger haben trotzdem Spaß. Es wird gewitzelt, lauthals gelacht, und noch einige Schoppen werden geleert. Zwei der älteren Tänzer genehmigen sich ein Nickerchen. Als die Zeit des Auftritts näher rückt, müssen die Betreuer die gesellige Runde daran erinnern, dass sie noch etwas vorhaben. Da alle sanften Appelle nichts nutzen, gibt es von Monica Weck, die zusammen mit ihrer Tochter Rebecca den Haufen trainiert, einen saftigen Anschiss: „Dieses blöde Gschmarri, dass Ihr des perfekt beherrscht, könnt Ihr Euch abschminken. Wenn Ihr Euch auf der Bühne vertanzt, dann ist das auch nicht mehr lustig.“ Bernd Feuchtenberger greift ebenfalls ein: „Macht’s auf der Bühne a Gschmarri, aber bitte des richtige Gschmarri.“

 

Lob vom Innenminister

Als die Männer auf die Bühne springen, ist das Publikum von der mehr als dreistündigen Veranstaltung bereits erschöpft. Trotzdem bekommen die Ellinger noch Szenenapplaus. Draußen am Monitor stehen Monica Weck und Margit Wild zusammen und kommentieren angespannt jeden Schritt der Truppe. „100 Prozent besser als bei der Generalprobe“, ist ihre erleichterte Einschätzung am Ende des gut dreiminütigen Tanzes. Ihre Zufriedenheit teilen sie immerhin mit Günther Beckstein, dem „Bayerischen Innenministerpräsidenten“, wie es an diesem Abend von der Bühne hieß. Denn auch der fand den Auftritt der Ellinger wunderbar: „Ihr wart super“, lobte er die Schautanzgruppe auf dem Empfang nach der TV-Übertragung. Und Georg Morgott durfte sich Ähnliches vom Bayerischen Umweltminister Werner Schnappauf anhöhren: „Der beste Auftritt seit Jahren“, meinte er. Abgeschminkt haben sich die Ellinger schnell, und dann wird auf dem Empfang der Stadt bei Leberkäs und Weizen kräftig gefeiert. Und zu später Stunde ist dann auch noch Zeit für Geständnisse: Stefan Rabus: „Eigentlich mag ich Fasching gar nicht. Ich mache das vor allem wegen der Gaudi und der tollen Gemeinschaft.“

 

JAN STEPHAN